Hier geht es zurück Angies Welt
Heute ist wieder so ein herrlicher Sommerabend, an dem ich, wie so oft in den letzten Tagen den Drang nicht unterdrücken kann, durch die dunklen, kleinen Gassen unseres verschlafenen Städtchens zu schleichen.
Ja, genau! Ich schleiche durch die engen Straßen. Wie ein Dieb, der etwas zu verbergen hat, schau ich mich um. Wenn man es genau nimmt, so habe ich ja auch etwas zu verbergen und es ist mir sicherlich nicht recht, dass man mich bei meinen abendlichen Ausflügen sieht. Die Leute würde mich vielleicht für einen Spanner halten, der ich möglicherweise sogar bin. Aber diesen Gedanken verwerfe ich, wische ihn fort aus meinen Überlegungen, das interessiert mich im Augenblick überhaupt nicht, denn ich habe das Ziel meiner Begierde erreicht.
Schon kann ich fühlen, wie mein Puls schneller schlägt. Noch ein schneller Blick zur Seite und ich stelle mich unter die alte Trauerweide, die, einer Legende zufolge, schon weit über 200 Jahre alt sein soll. Der alte Baum ist mein Stammplatz geworden. Wenn ich mich an den dicken Stamm lehne, fühle ich mich sicher, dann weiß ich, dass mich niemand von der anderen Straßenseite sehen kann. Die tief herabhängenden Zweige und die Dunkelheit der Nacht geben mir genügend Schutz um unerkannt zu bleiben.
So stehe ich nun auf dieser Straße und harre der Dinge, die gleich geschehen werden. Dinge, die meine Handflächen feucht werden und meinen Blutdruck steigen lassen.
Da ich noch ein wenig Zeit habe, kann ich auch noch schnell erklären, dass diese Straße im eigentlichen Sinne gar keine Straße ist. Sie ist nur ein etwa 50 Meter langer Weg, grob mit Pflastersteinen versehen und endet ohne Übergang in einem  kleinen Waldstück mit Birken, Eschen und ein paar Tannen. Auf der rechten Seite stehen zwei kleine Häuser, ihnen gegenüber die alte Weide, unter der ich nun stehe und angespannt auf die noch dunklen Fensterfronten starre.
Meine Hand zittert leicht, während ich den Ärmel meines Pullovers hochschiebe, um auf das Zifferblatt meiner Armbanduhr zu sehen. Es ist genau 22 Uhr 30.
Pünktlich, wie immer, als würde irgendwo ein Schalter umgelegt, geht im mittleren Fenster der ersten Etage das Licht an. In dem einen, wie auch in dem anderen Haus. Ich kann wirklich nicht sagen, was mich immer wieder zu meinem Beobachtungspunkt zieht. Ob es die Synchronisation der Ereignisse ist, oder der Reiz, die jungen Frauen zu beobachten.
Doch nun muss ich mich konzentrieren, denn eine Tür öffnet sich und eine Frau tritt ins Zimmer. Die eine im linken Haus, die andere im Haus rechts. Ich hatte ja schon gesagt, alles läuft wie eine Kopie und nach dem gleichen Schema ab. Zeitgleich und synchron. Ich gestehe, dass mich der Anblick der Frauen erregt, sie sind so perfekt, wie von Menschenhand erschaffen, von einem Künstler modelliert. So, als dienten sie nur dem einen Zweck, mich und meine Sinne zu erregen.
Meine Augen beginnen hin und her zu flattern, als folgten sie einen Pendel, den man bei einer Hypnose benutzt. Es fällt mir, wie immer, schwer mich zu entscheiden, welchem Fenster ich denn nun meine volle Aufmerksamkeit schenken soll. Und doch verweilen meine Augen erneut für länger Zeit bei der Gestalt in dem rechten Haus.
Ich kann kaum noch zählen, zum wievielten male mir beim Anblick dieser Frau der Atem stockte. Wie ein Engel schwebt ihr wohlgeformter Körper durchs Zimmer. Die schon fast klischeehaften, blonden Locken flattern um ihren Kopf, als wehe ihr ein lauer Herbstwind durchs Haar. Das Gesicht ist ebenmäßig schön und ihre helle Haut scheint mit dem weißen Nachthemd, das eng an ihrem Körper anliegt, zu verschmelzen. Sie ist die absolute Unschuld pur, wären da nicht diese hübschen, kleinen Rundungen und die Konturen eines flauschigen Dreieck, auf dem nun mein Blick verweilt. In meinen Gedanken nenne ich sie Angel. Weil sie aussieht wie ein Engel. Aber darf man einen Engel so Lüstern betrachten?
Irgendetwas scheint heute anders als sonst zu sein. Ich bin ein wenig verwirrt, denn zum erstenmal habe ich das Gefühl, Angel würde zu mir herüber sehen. Als träfen sich unsere Blicke, was auf dieser Entfernung weiß Gott nicht möglich ist. Doch warum bin ich überzeugt, das Blau in Angel's Augen erkennen zu sehen?
Ich wende meinen Blick ab und sehe zum anderen Haus hinüber, zu Diana. Ich weiß nicht warum ich diese andere Frau Diana nenne. Sie wirkt auf mich überhaupt nicht göttlich, eher anrüchig, aber auch ein bisschen mystisch. Diana ist das genaue Gegenteil von Angel. Sie schwebt nie durchs Zimmer. Ihre Bewegungen sind aufreizend und provokant, so als wisse sie genau, dass sie jeden Abend beobachtet wird. Ihre Gestik ist oft obszön und sie regt meine Lust bis aufs äußerste an. Dann möchte ich einfach zu ihr hinüber gehen, sie verführen und sie die ganze Nacht hindurch lieben.
Diana's Busen ist üppig, im Gegensatz zu Angels kleinen, festen Brüsten. Wenn sie sich bewegt, wippen sie bei jedem Schritt auf und nieder. Sie trägt immer einen knappen, kurzen Slip und verbirgt mir so den Anblick auf jene Stelle, die ich bei Angel so sehr genieße. Was mich an Diana aber besonders fasziniert, ist das lange, schwarze Haar und ihre dunkele Hautfarbe.
In mir steigt wieder das Gefühl hoch, dass es heute anders ist, als an den Abenden zuvor. Auch Dianas Blicke spüre ich plötzlich, sie scheint ebenfalls zu mir herüber zu sehen und ich bin mir sicher, die Farbe ihre Augen ist ein leuchtendes Grün.  Ein so intensives Grün habe ich zuvor noch nie gesehen. Ihre vollen roten Lippen bewegen sich, als will sie mir etwas sagen. Spricht sie vielleicht wirklich zu mir?
Ich muss einfach mal kurz meine Augenlieder schließen, denn ich glaube, dass ich mir das alles nur einbilde.
Es hilft nichts. Noch immer stehen beide Frauen am Fenster. Diana links und Angel rechts. Sie winken mir zu, fordern mich auf zu ihnen herüber zu kommen. Habe ich nun schon Halluzinationen? Es wird wohl allmählich Zeit, diesen Ort zu meiden.
Angel bedeutet mir unmissverständlich zu ihr zu kommen. Ohne weiter darüber nachzudenken überquere ich die Strasse und gehe auf das Haus zu. Dabei bewege ich mich wie in Trance, stolpere leicht über einen hervorstehen Pflasterstein.
Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich Diana. Auch sie winkt mir zu. Als sie erkennt, dass ich nicht zu ihr, sondern zu der anderen gehe, lässt sie die Arme sinken. Aber ihr Gesicht, da bin sicher, verheißt nichts Gutes. Ihr erotisch-exotisches Aussehen ist verschwunden, maskenhaft und starr sieht sie mich an. Nur ihre Augen leben noch. - Und wie sie leben!  Das katzenhafte Grün ist einem glühenden Rot gewichen und es sieht aus, als schießen feurige Pfeile aus ihnen hervor.
Mitten auf der Strasse bleibe ich plötzlich stehen, ungewollt und doch unfähig weiter zugehen. Ich spüre eine unsagbare Hitze um mich herum, mein Körper scheint zu glühen. Ich sehe Feuer - überall Feuer. Die Flammen lodern meterhoch, versperren mir den Weg zu Angel.
"Angel? Wo bist du!" Ich höre meine Stimme wie aus weiter Ferne, sehe Angel's Gesicht. Sie lächelt mir zu. Ihre Hand greift nach meiner, umschließt sie ganz fest. Eine angenehme Kühle geht von ihr aus und nun bin ich auch wieder fähig weiter zu gehen. Ich vertraue der Hand die mich führt und folge ihr durch das Feuer.
Unversehrt erreichen ich das Innere des Hauses. Zum ersten mal sehe ich Angel aus der Nähe. Sie ist noch schöner, als sie es ohnehin schon aus der Ferne war. Sanft legt sie ihre Fingerspitzen auf meinen Mund. Sie muss nichts sagen, denn ich bin unfähig, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen.
Noch immer hält sie meine Hand, zieht mich hinter sich her, die Treppen hinauf zu ihrem Zimmer. Und hier, in jenen Raum, in dem ich sie Abend für Abend beobachten konnte, lässt sie es zu, dass ich sie umarme. Vorsichtig gleitet meine Hand über das seidige Nachthemd. Es knistert ein wenig wenn ich es berühre und ich habe das Gefühl, als bestehe eine Art elektrische Spannung zwischen uns.
Unwillkürlich weiche ich zurück. Aus meinen Fingerkuppen sprühen plötzlich Funken. Kleine Lichtblitze, die sich auf Angels Nachthemd entladen und es in Brand setzen.
Ohne darüber nachzudenken was hier passiert, springe ich los, reiße ihr das Nachthemd vom Körper, öffne das Fenster und werfe es einfach hinaus auf die Straße. Während ich das Fenster wieder schließe, sehe ich eine Gestalt auf der anderen Seite. Sie steht dort, wo ich immer stand, angelehnt an dem Stamm der uralten Trauerweide. Es ist Diana. Ihre Augen starren mich aus einem verzerrten, hasserfüllten Gesicht entgegen.
Was wurde hier gespielt? Ist alles nur ein dummer, aber Traum? Eine Ausgeburt meiner erotischen Fantasien?
Ich komme nicht dazu mir klar darüber zu werden, ob ich träume oder wache. Angels warmer, weicher Körper umschlingt mich, zieht mich zurück ins Zimmer und stößt mich sacht auf das Bett. Unschuldig und Unwissenheit vorspielend, lächelt sie mich an, so als sei nichts geschehen.
Geschickt beginnt sie mich zu entkleiden. Mich zu streicheln. Ich kann mich nicht wehren. Warum sollte ich auch, denn was nun geschah, werde ich mein Leben nie vergessen. Angel ist eine Liebesgöttin. Sie beherrscht alles, was man sich nur erträumt und sie führt mich in eine Welt, die es nur in erotischen Fantasien und Träume zu geben scheint. Den Höhepunkt jedoch erreichen wir nicht. Ein lauter Knall lässt uns auseinander fahren. Scheiben klirren und Holz splittert.
Kann ich meinen Augen noch trauen, meinen Verstand?
Dort, wo gerade noch ein Fenster war, gähnt plötzlich ein riesengroßes Loch in der Wand. Und mittendrin steht Diana. Unversehrt und immer noch voller Hass springt sie ins Zimmer, stürzt auf das Bett zu und begräbt Angel unter sich. Gebannt starre ich auf das Bett, suche Angels Körper unter dem von Diana. Doch ich kann sie nicht finden. War das ein Kampf zweier Rivalinnen? Aber welche Art von Kampf soll das sein?
Langsam, ganz langsam erhebt sich Diana vom Bett. Auf den Händen gestützt, aber mir immer noch den Rücken zugewandt, steht sie da. Bewusst lässt sie mir Zeit, das zu sehen was ich sehen soll.
Da, wo Angel und ich noch vor wenigen Minuten den Gipfel höchster Ekstasen erstürmen wollten, lag nun ein kleiner Haufen Asche. Instinktiv wird mir Bewusst, dass das, was da liegt, die Reste von Angel sind. Aber warum hat Angel sich nicht gewehrt. Ich fühle es tief in mir, sie war ein Engel und sie war stärker als Diana. Hat sie sich ihrem Schicksal gefügt, weil unsere Liebe nicht sein darf? Weil Engel nicht lieben dürfen.
Wütend stürze ich auf Diana zu. Alles in mir verlangt nach Rache. Rache für Angel, mehr will ich nicht. Ich spüre die Tränen, die mir übers Gesicht rollen, meine Verzweiflung. Aber ich sehe auch Diana, die plötzlich vor mir steht. Und ich sehe ihr Gesicht. Ein Gesicht das ich aus zahlreichen Horrorfilmen kenne. Ich drehe mich um und beginne zu laufen. "Schneller, schneller" schreit es in mir. Ich spüre ihren Atem hinter mir und ich weiß genau ich werde Diana nicht entkommen.
Ich weiß nicht wie lange ich gelaufen bin. Ich erinnere mich nur an eine Hand auf meiner Schulter, die mich umriss und ich zu Boden sank. Dann wurde es schwarz vor meinen Augen.

Langsam kann ich wieder klar sehen. Vorsichtig tasten sich meine Augen durch die Dunkelheit. Irgendwo muss es sein - Dianas monströses Gesicht. Wie wird sie jetzt aussehen. Ob sich ihre Gestalt auch verändert hat?
Ich bin auf alles gefasst. Ich weiß auch nicht weshalb ich lache. Es ist so grotesk, wie in einem zweitklassigen Film. Hinter mir fühle ich jetzt etwas hartes, unverrückbares. Meine Hände tasten sich nach hinten. Es fühlt sich an, wie die Rinde eines Baumes.
Endlich habe ich den Mut meine Augen ganz zu öffnen. Vor mir sehe ich zwei Häuser im Dunkel der Nacht. Kein Licht brennt hinter den Fenstern und der Mond zieht begehrlich dem beginnenden Morgen entgegen.
Mühsam erhebe ich mich. Langsam und nachdenklich mache ich mich auf den Heimweg.




~~~ ENDE ~~~









Engel und Teufel (C) Februar 2004 by Heinz Oh. - Online seit:18.02.2004 - Klicks heute:1 - Klicks gesamt:2516.